Keine Sorge. Dies ist kein weiterer Ratgeber zum Thema „Achtsamkeit“. Auch skeptische Leser dürfen getrost weiterlesen.

Bei meinem Freund Harald lässt sich die aktuelle Stimmungslage anwenderfreundlich an der Gesichtsfarbe wie an einem Thermometer ablesen. Da gibt es verschiedene Stufen von „völlig entspannt, fast schon unterkühlt“ bis zu „hitzig, hochexplosives Dynamit“. Von eisig-weiß bis tobend-knallrot.

So kommt es, dass ich letzte Woche bereits beim ersten Anblick sehen konnte, dass es in ihm brodelte. Wir waren zum Abendessen verabredet und immerhin konnte er seine Eruption noch so lange zurückhalten, bis er am Tisch saß. Doch dann legte er los. Wie die Feuerwehr. Doch dieses Bild hätte etwas Löschendes. Daher bleibe ich beim animalischen Vergleich und verweise auf einen schnaubenden, hufescharrenden Stier. Das Lokal ist die Arena und die Bedienung konnte am Morgen nicht erahnen, dass ein rotes Oberteil eher unangebracht sein würde. Gottlob konnten wir ohne ernsthafte Zwischenfälle unsere Bestellung aufgeben.

Harald kam gleich zur Sache. Er hatte von seiner Mutter zu Weihnachten einen Gutschein für ein Achtsamkeitstraining geschenkt bekommen. Bereits „unterm Weihnachtbaum“ wurde daraufhin eifrig diskutiert, wie achtsam es denn sei, einer anderen Person zu unterstellen, dass diese eine Achtsamkeitsnachhilfe nötig hätte. Da das Wortscharmützel ohne wirklichen Sieger endete, ging Harald danach in die Verlängerung und schenkte seiner Mutter einen Kochkurs zum Geburtstag. Abschließend einigten sie sich auf einen gemeinsamen Mediationskurs, den sie sich gegenseitig zu Ostern schenkten.

So weit, so gut. Harald hatte zwischenzeitlich den Achtsamkeitskurs absolviert und wendete seine neuen Fähigkeiten umgehend an. Zum Beispiel: das Handy weglegen. Nun kam es so, dass Haralds Mutter ihrem Sohn letzte Woche eine Sprachnachricht zukommen ließ. Es lässt sich sicherlich diskutieren, ob 45 Minuten zu lang für eine derartige Botschaft sind. Der achtsame Harald jedenfalls legte das sprechende Handy zur Seite und sich selbst daneben auf die Couch. Es wird sich schlussendlich nicht mehr bis auf die letzte Sekunde nachvollziehen lassen, aber er ist wohl so um die siebte Minute eingedöst.

Ein positiv denkender Mensch könnte sich jetzt über die zusätzliche Wirkungsweise einer Sprachnachricht als Schlaflied erfreuen. Doch leider stellte sich in diesem Fall heraus, dass Harald eine wichtige Information verschlafen hatte. Nämlich die Einladung zum Muttertagsessen. Vor lauter Achtsamkeit versäumte Harald sowohl die Erinnerungsanrufe als auch den „Wo bleibst Du“-Anruf. Als Harald dann im Nachgang beim angeforderten Mediationsgespräch unachtsamerweise im Nebensatz eine gewisse Teilschuld seiner Mutter andeutete, kam es zu einer verfilmungswürdigen Eskalation und bis dato befinden sie sich in einer Phase des Waffenstillstands.

Aufgrund einer gewissen jährlichen Routine wird das beidseitige Kommunikationsembargo im Sommer kurz unterbrochen, um sich bezüglich des Blumengießens während des Urlaubs abzustimmen. Es wäre ja noch schöner, wenn die unschuldigen Blümchen unter dem Krach leiden müssten. Üblicherweise beruhigen sich die Gemüter zum Jahresende hin, so dass sie sich zu Weihachten sicherlich wieder Geschenke und Freude bereiten werden. Spätestens dann sollte es auch wieder möglich sein, dass wir uns ohne „Vulkanausbruch“ zum Abendessen treffen.

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Beitragsbild von Pexels. Danke an Brett Sayles