Ich saß gerade beim Mittagessen. Eine wohlverdiente Pause für Körper und Geist. Eine Wohltat. Der Verzehr einer selbst gekochten Blumenkohlsuppe. Ich bin so begeistert von meiner kulinarischen Kreation, dass ich mir selbst Nachrichten mit Kochmützen- und Daumen-hoch-Smiley zusende. Angenommen der Konsum vom Blumenkohl wäre illegal, ich würde mich vor den Marktstand des Gemüsehändlers ketten lassen, um für die Legalisierung zu demonstrieren. Vor ungefähr 15 Monaten ist mir einmal die Zubereitung der Blumenkohlsuppe so gut gelungen, dass ich in einem rauschähnlichen Zustand einen zweiseitigen Essay über mein Lieblingsgemüse verfasst habe. Genug der blumigen Einleitung.

Der mediative Genuss meiner Leibspeise wurde doch das Klingeln meines Handys gestört. Am Klingelton konnte ich den Störenfried identifizieren: der Wirt meines Stammlokals. Es konnte sich nur um einen Hilferuf handeln. Der Anrufer schilderte mir mit einem Mindestmaß an Ausschweifung die dem Anruf zugrundeliegende Notlage. Im Anschluss an das Telefonat faltete ich die Stoffserviette, die ich bei einem solchen Festmahl üblicherweise verwende, legte sie mit der erforderlichen Eile und Sorgfalt zusammen und mit dem Löffel beiseite, konservierte die Suppe für die spätere Einnahme und begab mich schnurstracks zum „Tatort“.

Dort angekommen war die Brisanz der Situation auf Anhieb offensichtlich. Mein Freund Harald saß umringt von einer Menschentraube. Auf dem Tisch vor ihm lag eine Tube Sekundenkleber. Ich bahnte mir einen Weg durch die Menge und erkundigte mich nach der Ursache für den Tumult. Es folgte – in der gewohnt leidenschaftlichen Vortragsweise – Haralds Referat mit dem Thema „Boykott des Boykotts“.

Er hatte sich entschlossen den Boykott der WM in Katar zu boykottieren. Um seiner Aktion Nachdruck zu verleihen, würde er sich für die Zeit des Turniers am Tisch festkleben und öffentlichkeitswirksam sämtliche Spiele verfolgen. Meine Nachfrage, ob sein Vorhaben nicht eher lächerlich oder gar selbstbevorteilend sei, konterte er mit „Hast Du Dir den Spielplan überhaupt schon mal angesehen? 64 Spiele! Bis auf Liechtenstein und der Vatikanstaat sind fast alle dabei.“

Nun waren meine Geduld und Überzeugungsfähigkeit gefragt. Den zeitraubenden Disput „Engelszunge vs. spätkindlicher Trotzkopf“ konnte ich für mich entscheiden. Zähneknirschend stimmte er zu, dass lediglich eine Hand per Kabelbinder an den Stuhl gefesselt werden sollte. Doch schon beim ersten Gang zum Abort war er mir für meine Hartnäckigkeit dankbar. Das Wortspiel „Stuhlgang“ konnte ich ihm nicht ersparen.

Der Wirt genehmigte das vorgeschlagene Biwak im Gastraum unter der Bedingung, dass Schlafsack und Feldbett unterm Tag unsichtbar verstaut werden. Und nach meiner Zusicherung, dass ich bei einer neuerlichen Eskalation auf Abruf zur Verfügung stehen würde. Nachdem ich meinen Teil zur Beruhigung der Lage beigetragen hatte, leerte ich meine flüssige „Entlohnung“ für Retterdienste in Form eines Kaltgetränks und verabschiedete mich aus dem Getümmel.

Nun ja – drei Tage und ein paar Anrufe später habe ich genug. Ich versende die erlösende Kurznachricht an Harald: „ich habe Blumenkohlsuppe für uns gekocht.“ Fünf Minuten später steht er vor meiner Tür. Mit dem Stuhl unterm Arm. Wir genießen das kredenzte Mahl und im Anschluss konnte ich ihn auch davon überzeugen, sich vom Stuhl zu trennen. Als Zeichen seines Boykottboykotts hatte ich ihm im Internet eine Binde mit Blumenkohlsymbol bestellt. Diese trägt er nun mit Stolz und Haltung.

 

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Beitragsbild von Magda Ehlers