Harald und Nora gehen wieder getrennte Wege. Mein Mitgefühl hält sich in Grenzen. Die Beziehung war seit dem Beginn von Kuriositäten geprägt und ich hatte mir vom weiteren Verlauf erträgliche Inspiration erhofft.
Das Grundübel lag darin, dass Harald und Nora selten etwas gemeinsam unternommen haben. Oder schlichtweg keine Zeit für Aktivitäten zu zweit finden konnten. Harald genoss die Hetze von Termin zu Termin. Von der morgendlichen Yogastunde über das zünftige Mittagessen beim CSU-Ortsverein bis zum Ausdauertraining am Abend. Nora hingegen recherchierte Tag und Nacht für den bereits sehr konkret geplanten Start ihres Podcasts mit dem Titel „Alles außer Reisen, Schminken und Backrezepte“.
So kam Harald auf die Idee mit dem gemeinsamen Lied. Als Zeichen der trauten Zweisamkeit. Ein Stück zum Festhalten. Zum Dranklammern. Vor allem in stürmischen Zeiten. Ein Beziehungsanker.
Harald ging das „Projekt“ gewohnt durchdacht an und bediente sich dabei einer einschlägig bekannten Lieder-App. Harald und Nora nutzen diese App häufig, so dass die Anwendung bestens mit den Präferenzen der beiden vertraut ist. Basierend auf den berüchtigten Algorithmen ließ er dann eine gemeinsame Liederliste erstellen. Lied um Lied. Klick um Klick durchforsteten die herbstlich welken Herzblätter stundenlang die synchronisierte Vorschlagsliste. Die größte melodische Gemeinsamkeit erzielte „Wind of change“ von den Scorpions. Allerdings schien ihnen der Text unpassend als Symbol für ihre zukünftige Verbindung. Ähnlich verheerende Botschaften wie „I can´t get no satisfaction“ oder „Time to say goodbye“ scheiterten zum Glück aufgrund geschmacklicher Divergenzen.
Nach dem erfolglosen Abend kam beidseitige Resignation auf und glücklicherweise lieferte der übliche Trott eine halbwegs gelungene Zerstreuung. Bereits nach wenigen Wochen schöpfte Harald wieder Mut und präsentierte mir seine neue „Strategie“: Lucky Punch. Im Schlaf hatte er eine Eingebung und nun wollte er seine Herzdame mit seinem Traumlied überraschen und so die Beziehung wiederbeleben.
Dazu organisierte er einen Alibifernsehabend. Lediglich zweimaliges „Anstupsen“ zur Erinnerung war erforderlich und ruckzuck wurde per Doodle ein passendes Datum gefunden. Hätte Harald mich vorher gefragt, dann hätte ich ihm davon abgeraten ein Streichquartett vor dem Fenster auf Abruf ausharren zu lassen. Immerhin konnte ich ihm noch vom Einüben einer Choreographie abbringen. Außerdem überzeugte ich ihn davon, dass ein Glitzerkostüm von seiner Gesangsleistung ablenken würde.
Kaum war der Abspann des Films verklungen, da gab Harald das verabredete Zeichen und die Musiker intonierten Angels von Robbie Williams. Den Gesang übernahm Harald höchstpersönlich mit Inbrunst und Hingabe. Nora war von der vollbrachten Anstrengung überwältigt und brach in Tränen aus. Vor Rührung stammelnd und schluchzend gestand sie jedoch ein, dass dieses Lied schon „vergeben“ sei. Ihr verstorbener Hund Wuschel war total in das Stück vernarrt gewesen und hatte jedes Mal, wenn er es vernahm, mit dem britischen Entertainer im „Duett“ geheult. Daher muss sie bei der Melodie immer an ihren tierischen Verlust denken und somit scheidet diese Liebeshymne leider aus.
Um bei den Bildern zu bleiben. Aus dem Rettungsanker wurde ein Eisberg. An dem Lucky Punch ging die Beziehung K.O. Zum Abschluss spendierte ich Harald noch eine Wortwitzelei: aus „you me time“ wurde „you me too“. Wobei. Harald hat schon Trost gefunden. Er trifft sich regelmäßig mit der Dame aus dem Kirchenchor, die ihm so fleißig beim Üben geholfen hatte.
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Beitragsbild: Foto von Thibault Trillet
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