Vorsatz

Mein Freund Harald hat sich einen etwas speziellen Vorsatz für das neue Jahr ausgedacht. Er gibt seit dem Jahreswechsel kein Trinkgeld mehr. Er ist sich als Vollblutökonom der Tragweite seiner Entscheidung bewusst und will ein Zeichen setzen. Ein Zeichen der Vernunft. Die verursachten Personalkosten sollen aus seiner Sicht, wie alle sonstigen Kosten, transparent in die Verkaufspreise einberechnet werden und so das Auskommen der Servicekräfte sichern. Und sollte ein Gast eine außergewöhnliche Serviceleistung zusätzlich honorieren wollen, so kann er dies natürlich tun.

Laut Harald würde man dem Personal dadurch sogar einen Gefallen tun, denn die Bezahlung wäre unabhängig vom Münzbestand im Portemonnaie oder der mathematischen Fähigkeiten oder gar schlichtweg der Laune des Gastes.

Kalauer

Harald ist ein Mann der Tat. Zuerst wählte er die Methode Kalauer. Er bestellte lediglich Essbares und keinerlei Getränke. Als es dann zum Bezahlvorgang kam, verweigerte er das Trinkgeld mit der Bemerkung „ich habe ja nix getrunken“. Dafür bekam er dann ein müdes, mitleidiges Lächeln. Da er allerdings auf diese Art und Weise seine wertvolle ökonomische Botschaft nicht vermitteln konnte, wechselte er schon bald zur Methode Aufklärung.

Vorlesung

Bei den nächsten Restaurantbesuchen konsumierte er sowohl Speisen als auch Getränke und begann damit seine Entscheidung kein Trinkgeld zu geben ausführlich zu erklären. Seine Erläuterungen unterteile ich in drei Phasen:

  1. emotionaler Appell verkleidet in Fortschrittsgesäusel
  2. gewerkschaftlich angehauchter Aufruf zur Revolution
  3. Vorlesung in Kostenrechnung

Nur eine junge Bedienung schaffte es bis in Phase c. Bedingt durch die späte Uhrzeit hatte sie es sich auf einem Stuhl gemütlich gemacht und sich am Ende des Vortrags bedankt. Wenn schon an der Universität alle Veranstaltungen ausschließlich online stattfinden, dann wollte sie sich diese Präsenzvorlesung nicht entgehen lassen.

Eskalation

Nach ca. einer Woche zog Harald ein Fazit und beschloss, dass er von nun an seine Begründung auch bildlich anhand ein paar Folien auf dem Tablet präsentieren könnte.

Die darauffolgenden Reaktionen kamen nicht gänzlich überraschend. Vorbei war es mit der Akzeptanz und Toleranz. In den glimpflichen Fällen erntete er Ablehnung und schroffe Kommentare. Vereinzelt kam es im Anschluss noch zum Rauswurf mit der Androhung zum Austausch von körperlichen Argumenten. Harald fühlte sich in seinen heldenhaften Taten eher bestärkt und wird sich bestimmt neue Wege zur Überzeugung der Unbelehrbaren von deren Irrweg einfallen lassen.

Ausgleich

Und nun kommen wir zu meiner Rolle bei diesem ökonomischen Feldversuch. In den ersten Tagen übte ich mich überwiegend in der Rolle des stillen Beobachters. Zuerst süffisant lächelnd, dann grinsend und auf Gnade hoffend, verfolgte ich die Bemühungen meines Freundes. Hier und da zwinkerte ich den Bedienungen verschwörerisch zu. Wie bereits beschrieben, intensivierte Harald zunehmend seine Anstrengungen. Das toxische Gemisch aus Verbissen- und Verbohrtheit führte spiralförmig zu immer heftigeren Reaktionen. Und als uns die ersten Hausverbote drohten, änderte ich mein Verhalten und erhöhte meine Trinkgeldgabe deutlich, so dass ich Haralds Anteil einfach mit übernahm.

Für das Servicepersonal war das ein gangbarer Weg. Doch Harald war damit überhaupt nicht einverstanden und verabreichte mir eine Rede zu Loyalität, Freundschaft und wissenschaftlichem Ehrgeiz. Es blieb mir keine andere Wahl, als auf möglichst unauffällige Kompensationsmethoden auszuweichen.

Einen plötzlichen und möglichweise unkontrollierbaren Harndrang simulierend kehrte ich zum Beispiel in ein Lokal zurück und statt des Besuchs der Örtlichkeit, beglich ich unsere „Schulden“. Deutlich ausgefuchster war die Methode „Willst Du mit mir gehen“. Basierend auf Kommunikationswegen, die aus der Grundschulzeit stammen, schob ich der Bedienung unbemerkt ein Zettelchen mit der Frage „Willst Du mit mir paypalen?“ zu. Dank der modernen Zahlungsform endete somit dieser Wirtshausbesuch versöhnlich und im Wohlgefallen aller Beteiligten.

Das riecht doch förmlich nach einem glücklichen Ende. Doch leider muss ich den Leser an dieser Stelle enttäuschen. Letztens hat mich Harald dabei „erwischt“, wie ich einem Handwerker Trinkgeld gab…Fortsetzung folgt…

Trinkgeld für Charles? Nicht nötig… Blogeintrag teilen/weiterleiten ist völlig ausreichend ;-) Danke!

Beitragsbild von Charles Canary