Charles Canary ist hocherfreut, dass die Geschichten aus dem Café so guten Anklang gefunden haben. Aber an dieser Stelle muss ich den Anfragen zu „geführten Besuchen“ eine Absage erteilen. Nichtsdestotrotz gibt es noch einen Nachschlag…

Herbstliches Leiden

Zur uhrzeitlichen Mitte des Tages lässt es sich ganz ausgezeichnet in meinem bereits erwähnten Lieblingscafé aushalten. Die herbstlichen Temperaturen veranlassen mich dazu meine üblicherweise lässig fläzende Körperhaltung in eine kauernde, kuschelnde Sitzweise zu wandeln. Doch das im Hintergrund des Innenbereichs vorherrschende Gedudel aus dem Genre Fahrtstuhlmusik verhindert die Verlagerung meiner Anwesenheit in wärmere Gefilde. Auch ein Zeichen der wiederkehrenden Normalität. Das Grauen vor unbekömmlicher Musik verdrängt das vom Virus erzeugte Unbehagen.

Kanarien unter sich

Am Nebentisch macht es sich eine auffallend gekleidete junge Frau bequem. Die wohl absichtliche Vermischung eines offensichtlich jugendlichen Aussehens mit dem Kleidungstil einer kaffeehauserfahrenen, betagteren Dame gibt selbst einem fantasievollen Gedankenakrobaten ein Rätsel auf. Ich gebe mich mit der begründenden Auflösung „Tinder trifft Kirchenchor“ zufrieden und bemerke nun eine weitere Außergewöhnlichkeit. Meine Tischnachbarin hat tatsächlich einen Kanarienvogel dabei. In einem speziellen Ausgehkäfig ist der Piepmatz auf einem Stuhl platziert und einseitig durch ein größeres, sandfarbenes Leinentuch vor der berüchtigten Zugluft geschützt. Meine witzige Anmerkung, dass Kanarienvögel wohl keine Zugvögel sind, unterlasse ich, da mein neugieriges Gaffen schon penetrant genug ist. Ebenfalls unartikuliert bleibt der Hinweis meinerseits, dass der Vogel und ich so gut wie verwandt sind…

Goldige Gesellschaft

Nach einer gewissen Weile taucht die Verabredung der Vogeldame auf. Eine vergleichsweise langweilig angezogene männliche Gestalt. Er trägt eine fast schon modische Jeans kombiniert mit einem schneeweißen Oberhemd und dazu ein mausgraues Jackett. Einzig das eindeutig auf Funktionalität ausgerichtete Schuhwerk dient als Ausdruck der Rebellion. Ich bin noch damit beschäftigt die Erscheinung en détail zu analysieren, da erkenne ich, dass der eingetroffene Gast ebenfalls mit einem Mitbringsel unterwegs ist. Denn aus einer undurchsichtigen Tüte kommt nun ein Goldfisch im Glas zum Vorschein. Behältnis samt Inhalt wird direkt auf den Tisch gestellt. Für die beiden Tiere scheint die Zusammenkunft keineswegs ungewöhnlich. Ganz im Gegenteil. Ihr Verhalten deutet auf einen höheren Bekanntheitsgrad hin. Der Vogel hüpft ausgelassen umher und zwitscherte vergnügt einen Willkommensgruß. Der Fisch dreht vor Wiedersehensfreude ein paar Extrarunden in seinem gläsernen Pool.

Moral von der G´schicht

Gibt es nicht. Allein der Gedanke, dass der Alltag unverhofft ausreichend sowohl Unterhaltung als auch Zerstreuung darbietet und sich so Unmengen an Ausgaben für Film- und Streamingdienste sparen lassen. Wie gewonnen so zerronnen. Der Verfasser dieser Zeilen verprasst die erzielten Ersparnisse umgehend und hat einen Corona-Stammtisch gegründet. Pandemische Anekdoten in Hülle und Fülle. Und am Ende des Tages freut sich das Phrasenschwein.