Halbwegs verdient und dennoch hinlänglich willkommen genießt auch Charles Canary seinen Sommerurlaub.

Liegestuhl

Die sanfte und bei Bedarf trickreiche Verteidigung, der durch unverschämt frühes Aufstehen erworbenen Besitzansprüche an dem Liegestuhl, verleiht dem Tagesablauf eine gewisse Sinnhaftigkeit.

Um den gewohnten alltäglichen Optimierungszwang im Urlaub nicht vollends ruhen zu lassen, wurde zumindest der Standort des besagten Liegestuhls nach reiflicher Überlegung gewählt. Nicht zu nah am Pool, um zu vermeiden, dass die Wellen und Fontänen der Sportgruppe „Jugend trainiert für NOlympia“ nicht im Sekundentakt die wohldosierten Ruhephasen beeinträchtigen. Nicht zu weit weg vom Becken, da der Anmarsch bei den gelegentlich erforderlichen Ausflügen zur Abkühlung auf einem zu heißen Untergrund durchaus qualvoll sein kann. Nicht zu nah am Restaurant, um nicht durch den fortwährenden Essensgeruch oder unrhythmisches Geschirrgeklapper gestört zu werden. Aber natürlich auch nicht zu weit entfernt von Speis und Trank, um das primäre Urlaubsziel „Gewichtszunahme“ zu gefährden.

Erkenntnis

In einem der erwähnten Momente der Ruhe macht sich eine Wahrnehmung breit, die meinen Urlaubsaufenthalt von einem auf den anderen Augenblick schlagartig verändern sollte. Es begann mit einem Anfangsverdacht. Zwei Liegen weiter unterhielt sich eine mittelalte Dame mit ihrer Entourage. Die Lautstärke wurde durch die Entfernung etwas gedimmt. Daher blieb es vorerst bei einer vagen Vermutung. Doch dann kam es zu einem eskalierenden Ausruf. Eines der Kinder hatte sich ohne die empfohlene Schicht Sonnencreme aus dem schützenden Schatten des Sonnenschirms hinwegbewegt. Für mich ein Segen. Nun konnte ich die Stimme der Dame eindeutig erkennen und meine anfängliche Ahnung wurde bestätigt.

Wiederhören

Die Stimme ließ sich zweifelsfrei meiner Bekanntschaft von der „heißen Linie“ des Flockenherstellers (Blogeintrag: Urlaub dahoam ) zuordnen. Ich erinnerte mich an ein durchweg angenehmes Gespräch auf Augen – äh – Ohrenhöhe beginnend mit Englisch im Alltag bis hin zur Weltpolitik. Schon in diesem kurzen Telefonat war eine sehr innige Verbundenheit entstanden. Eine spontane, aber doch auch tiefgründige Liaison zwischen dem Problemkunden und der Call-Center-Therapeutin. Das Schicksal oder viel mehr die Lotterie der Reisebuchung gab uns eine zweite Chance.

Observation

Somit hatte ich von nun an ein neues Urlaubshobby. Der Begriff Stalking schien mir zu dubios. Daher nannte ich es observieren. Bereits nach wenigen Stunden konnte ich die Familienverhältnisse einigermaßen präzise einordnen. Nach ein paar Tagen hatte ich weitere Informationen gesammelt: Essenszeiten/-vorlieben, Lesegeschmack/-verhalten, Spitz/-Kosenamen ihrer Liebsten (inklusive für die Angehörigen des Hotelpersonals)…

Allein durch eine Verkettung von Zufällen wusste ich auch, dass entweder meine „Bekanntschaft“ oder ihre Begleitung nachts laut schnarchte. Da ich so oft wie möglich in Begleitung meiner Bagage in einem gewissen Unauffälligkeitsabstand den Zielpersonen durchs Hotel folgte, war es schier unvermeidlich die Zimmernummer in Erfahrung zu bringen. Als ich dann in der Folge eines schwer verdaulichen Abendessens nicht schlafen konnte, vertrat ich mir die Beine gewollt zufällig unter dem dazugehörigen Zimmerfenster. In Hörweite sozusagen. Die Gespräche über das ein oder andere Zipperlein oder auch die anstehende Vermögensumstrukturierung fand ich sehr unterhaltsam. Leider konnte ich auch nach einigen Stunden des aufmerksamen Lauschens das erwähnte Schnarchgeräusch nicht eindeutig einer der beiden Personen zuordnen. Kapitulierend zog ich von dannen.

Auf Wiedersehen

Bei einem gemeinsamen Besuch des Frühstückbüffets  – kurioserweise bei der Sektion Müsli – war ich kurz davor die Dame anzusprechen. Da es unser Abreisetag war, blieb es bei einem genuschelten „na dann bis nächstes Jahr“. In mein Notizbuch erfolgte noch der Eintrag zur erschnüffelten Parfümsorte und die geschätzte Angabe der Schuhgröße. Versehen mit (??).

Danach trennten sich unsere Wege. Also ohne, dass sie es eigentlich bemerkte. Ist wohl auch besser so. Für alle Fälle habe ich ja ihre Telefonnummer…

Zauberberg

Kurzer Zwischenstand zum Projekt „Der Zauberberg“: Seite 500. Auch hier bedarf es ein paar Tage des Abstands und der Ablenkung. Im Vertrauen darauf, dass ich mir einen ausreichenden Vorsprung vor der lokalen Inzidenz „erlesen“ habe.