Ich sitze im Zug und die Smiths durchfluten mit den Klängen von „How soon is now“ meine Gehörgänge. Aus Gründen der allgemeinen Sicherheit höre ich auf Reisen mit der Deutschen Bahn nur mp3 und kein Radio. Zu spontan und eruptiv reagiert mein Körper auf eventuell verbreitete Hässlichkeiten. Und davon gibt es leider reichlich auf deutschen Radiosendern. Nein! Ich habe nichts gegen deutsche Radiosender an sich. Herr Wallraff muss sich also nicht als deutscher Radiosender verkleiden um mir meine intellektuelle Begrenztheit aufzuzeigen.

Es sind die Inhalte, die mir zusetzen. Dieser Dauerulk. Comedy regiert den Äther. Sogar der Wetterbericht muss zur Befriedigung dieses Humorfetischismus herhalten. Ab und an wird dieses sinnfreie Rumgeblödel von noch grässlicherem Gedudel abgelöst. Dieser exkrementale Mischmasch von ausgelutschten Classic Rock-(S)Hits und dem neuesten Auswurf eines vermeintlichen Superstars.  Meistens retten mich meine Reflexe. Schnell wegschalten. Gelobt sei das reichhaltige Angebot in der Bundeshauptstadt. Da finde ich umgehend eine vielversprechende Frequenz. Im freistaatlichen Süden gelingt mir dies nicht eher selten.

Eines Morgens um kurz nach 7. Ich als Teil der allmorgendlichen Massendemonstration zum Wohle der Klimaverschmutzung. Auf dem Weg hinein in die Weltstadt mit Herz stehe ich vorm Nadelöhr des europäischen Verkehrsnetzes. Hätte es München damals schon gegeben, dann hätte auch Hannibal hier im Stau gestanden: Luise-Kiesselbach-Platz. Ein Moment der Unachtsamkeit und schon schmerzt das Trommelfell. Bon Jovi! Runaway! Zum Davonlaufen! Ich kann aber nicht weg! Der Finger zuckt zur Sendertaste. Doch es wird noch grausamer: Bryan Adams plärrt mir was vom Sommer des Jahres 69. Mir wird schlecht! Die weiteren Sender bringen nichts als eine Handvoll Wortspiele mit der geistigen Tiefe eines durchschnittlichen niederbayerischen Dorfweihers, die sich abwechseln mit den abgedroschensten Mann-Frau-Klischees, mit denen sich vielleicht das Berliner Olympiastadion füllen lässt, aber die in mir nur ein Übelkeitsgefühl auslösen, als hätte ich am Vorabend zu viel portugiesischen Billigwein gebechert. Rastlos suche ich nach dem erlösenden Programm. Und an dieser Stelle muss ich meine Leserschaft, die sich durch den permanenten Konsum von Daily Soaps und Hollywoodstreifen an ein Maß von Happy-Ends gewöhnt hat, wie es im Drehbuch des wirklichen Lebens nicht vorgesehen ist, enttäuschen. Es kommt wie es kommen muss. Bereits nach wenigen Takten von Hotel California spüre ich wie es in mir gärt. Mit der linken Hand betätige ich den Fensterheber. Während ich mit der anderen Hand verzweifelt am Radio rumfummel. Loosing my religion. Aus dem Gären wird ein Brodeln. Mein Körperinneres scheint den Kampf gegen die Schwerkraft zu gewinnen. Wind of Change gibt mir den Rest. Den Kopf aus dem Fenster und wie der Hüne in Green Mile versuche ich mir das Übel aus dem Körper zu speien. Zum Glück stand ich auf der Spur neben dem Grünstreifen. Als ich dann deutlich erleichtert wieder hinterm Steuer sitze, bemerke ich, dass mittlerweile die Nachrichten laufen. Um ein Haar hätte mich eine Naturkatastrophe vom anderen Ende der Welt vorm Schlimmsten bewahrt.